Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Grüne Bremen 26.09.2025 |
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Tagesordnungspunkt: | 6 Weitere inhaltliche Anträge |
Antragsteller*in: | Grüne Jugend Bremen (dort beschlossen am: 10.09.2025) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 12.09.2025, 12:42 |
A2_neu_nach_mod_ü: Stärkung von Freiwilligendiensten und Bundeswehr: Für eine moderne, inklusive und resiliente Gesellschaft ohne Dienstpflicht
Titel
Antragstext
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verändert unsere Welt grundlegend.
Durch die Wiederwahl Donald Trumps sind die USA zudem kein verlässlicher
transatlantischer Partner mehr. Auch die NATO-Staaten – darunter die deutsche
Bundeswehr – rüsten wieder auf. Deshalb soll die Anzahl der Zeit- und
Berufssoldatinnen sowie der Reservistinnen deutlich erhöht werden. Neben diesen
akuten Herausforderungen steuern die Gesundheits- und Pflegesektoren sowie der
zivilen Bevölkerungs- und Katastrophenschutz seit Jahren von der chronischen
Überlastung Richtung Zusammenbruch. In diesem Zusammenhang werden auch die
Forderungen nach einer allgemeinen Dienstpflicht lauter.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist das Ende August von der schwarz-roten
Bundesregierung auf den Weg gebrachte Wehrdienstgesetz. Bereits ab 2027 soll bei
allen 18-Jährigen das Interesse an der Bundeswehr abgefragt werden und ab 2028
soll die Musterung für alle Männer des Jahrgangs 2008 wieder verpflichtend
eingeführt werden. Mit dem neuen Paragrafen 2a im Wehrpflichtgesetz schafft sich
die Bundesregierung die Möglichkeit, die Wehrpflicht kurzfristig wieder
einzuführen.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen Bremen sind jedoch überzeugt, dass die
Wiedereinführung der Wehrpflicht keine Lösung ist.Vielmehr muss die Bundeswehr
gestärkt und reformiert sowie die Verteidigungsfähigkeit EU-weit besser
koordiniert und abgestimmt werden. Gleichzeitig müssen unsere
Freiwilligendienste und das zivilgesellschaftliche Engagement gestärkt werden,
um sie zukunftsfähig und inklusiv zu gestalten. Esmüssen die strukturellen
Probleme der gegenwärtigen Rahmenbedingungen angegangen werden, um die Dienste
in allen Bereichen für die Zielgruppe attraktiver zu gestalten.
Ausbau und Förderung von Freiwilligendiensten
Um Freiwilligendienste gut aufzustellen und so zum gesellschaftlichen
Zusammenhalt beizutragen, ist eine existenzsichernde Vergütung für alle
Freiwilligendienste notwendig. Nur so ist sichergestellt, dass diese Dienste
tatsächlich allen Menschen zugänglich sind. Engagement im Rahmen eines
Freiwilligendienstes darf kein Privileg für Jugendliche aus finanziell gut
situierten Haushalten sein, sondern muss allen Menschen die Chance bieten, sich
zu beteiligen, sich weiterzubilden und sich zu engagieren. Darüber hinaus soll
die Förderung für eigenverantwortliches zivilgesellschaftliches Engagement
erhalten und ausgebaut werden.
Ein Pflichtdienst würde zunächst einmal nichts an den Rahmenbedingungen ändern.
Dass Tätigkeiten in sozialen Berufen und im ehrenamtlichen Katastrophenschutz
mit wenig gesellschaftlicher Anerkennung, wenig Geld und hoher Arbeitsbelastung
verbunden sind, würde Menschen auch weiterhin abschrecken. Gesellschaftlicher
Zusammenhalt muss gemeinsam erlernt und gelebt werden. Die durch einen
Pflichtdienst erwarteten positiven Effekte können auch durch gut ausgestattete
Freiwilligendienste erreicht werden – was auch heute schon sichtbar ist. Ein
Pflichtdienst widerspricht dabei den Prinzipien von Selbstbestimmung in der
Gemeinschaft - während die positiven Effekte der Entscheidung für einen
Freiwilligendienst schon heute sichtbar sind. Der Höchstsatz des
Bundesfreiwilligendienstes von 644 € reicht allerdings kaum zum Leben. Es
braucht daher eine deutliche Steigerung der Anerkennungskultur für diese
besondere Form des Engagements – monetär sowie durch zusätzliche Anreize wie ein
kostenloses Deutschlandticket bzw. ein Ticket für den ÖPNV. Der
Bundesfreiwilligendienst darf nicht dazu genutzt werden,
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in sozialen und kulturellen Berufen
zu ersetzen und so Lohnkosten einzusparen. Eine Dienstpflicht droht dieses
Problem angesichts des Fachkräftemangels in diesen Arbeitsfeldern massiv
auszuweiten.
Freiwilligendienste scheitern häufig an enttäuschten Erwartungen (zum Teil auf
beiden Seiten), fehlenden finanziellen Mitteln und unzureichender Betreuung.
Zudem haben die herausfordernden Haushaltslagen der vergangenen Jahre den
Verbänden oft die Planungssicherheit für die Einsatzstellen erschwert. Hier
braucht es eine stabilere Finanzierung. Gerade in von Krisen geprägten Zeiten
ist ein gesellschaftliches Zusammenkommen wichtig, ebenso wie eine verstärkte
Wertschätzung für ehrenamtliche Arbeit, die allen Menschen offensteht. Das
Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl 2025 hat die
richtige Richtung eingeschlagen: Es sieht den Rechtsanspruch auf einen
Freiwilligendienstplatz mit einem entsprechenden Ausbau der
Bundesfreiwilligendienste und ausreichender FInanzierung vor.
Stärkung der Verteidigungsfähigkeit durch Reform in der Bundeswehr
Grundsätzlich ist es richtig, dass der Bund die finanziellen Grundlagen dafür
geschaffen hat, dass Deutschland verteidigungsfähig wird und ein zuverlässiger
Bündnispartner sein kann. Gleichzeitig ist eine kritische gesellschaftliche
Debatte über Problemlagen bei der Bundeswehr und ein Fokus auf ziviler
Friedenssicherung besonders in der aktuellen Weltlage unverzichtbar. Für uns
Grüne ist dabei klar: Für Investitionen in Rüstungsvorhaben braucht es
Transparenz und eine gestärkte parlamentarische Kontrolle. Hier sehen wir nach
wie vor gravierende Missstände etwa im Rahmen des Beschaffungssystems. Um diese
Verteidigungsfähigkeit zu erreichen und für die aktuellen außenpolitischen
Entwicklungen gewappnet zu sein, braucht die Bundeswehr Nachwuchs und gut
ausgebildete Fachkräfte.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss sich die Bundeswehr zu einem attraktiveren
Arbeitsumfeld entwickeln. Die strukturellen Probleme mit Diskriminierung,
Sexismus, rechten Tendenzen und Netzwerken unter Soldat*innen in der Bundeswehr
müssen daher zwingend angegangen werden. Nur so kann die Bundeswehr für die
Gesellschaft geöffnet werden und jungen Menschen Perspektiven bieten.
Im Vergleich zu anderen Freiwilligendiensten liegt der monatliche Wehrsold für
freiwillig Wehrdienstleistende mit 1.837 € und kostenlosem Bahnfahren deutlich
höher. Das neue Wehrdienstgesetz sieht eine weitere Erhöhung dieser Besoldung
vor. Eine angemessene Vergütung ist zwar wichtig, hat aber bisher nur bedingt zu
einem umfangreichen Anstieg an Wehrdienstleistenden geführt. Erforderlich ist
hierfür eine Veränderung der Tätigkeiten und der Arbeitskultur, damit die
Bundeswehr für Menschen, die einen Dienst leisten wollen, ein sicherer und
inklusiver Arbeitsort ist. Dieses Ungleichgewicht, gerade im Bezug auf die
Vergütung bei sozialen Diensten wirft nicht nur Fragen nach gesellschaftlicher
Wertschätzung auf, sondern führt auch dazu, dass die Bundeswehr für
marginalisierte Jugendliche eine der wenigen Möglichkeiten ist, schnell
finanziell unabhängig zu werden. Während dies die Wahlfreiheit aus finanziellen
Gründen effektiv einschränkt ist der Wehrdienst für privilegierte Menschen
dagegen leichter abzulehnen.
Dienstpflichten lösen keine aktuellen Probleme
Wir lehnen Dienstpflichten sowie das neue Wehrdienstgesetz, das die
Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, ab. Durch eine solche Pflicht für
junge Menschen (und in Bezug auf den Wehrdienst aktuell explizit für junge
Männer) wird die gemeinschaftliche Verantwortung auf diejenigen abgewälzt, die
bereits unter den anhaltenden Versäumnissen der letzten Jahrzehnte leiden. Auch
eine Dienstpflicht für alle Geschlechter würde die ungleiche Verteilung von
Carearbeit in der Gesellschaft ausblenden und diese Ungerechtigkeit dabei noch
verschärfen. Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten werden dadurch bestärkt,
anstatt dringend benötigte Kapazitäten freizusetzen und notwendiges Engagement
sowie die Entwicklung von Fachkräften zu unterstützen und den gesellschaftlichen
Zusammenhalt zu stärken. Die Diskussion um die Einführung eines verpflichtenden
Dienstjahres ist oft mit überzogenen Erwartungen verbunden, was die zu
erwartenden Veränderungen betrifft. So können junge Menschen im Rahmen eines
Freiwilligendienstes mit Sicherheit eine Bereicherung in der Pflege- und
Betreuungsarbeit sein. Um den Fachkräftemangel zu bewältigen, sollten jedoch
andere Strategien verfolgt werden: eine bessere Bezahlung, attraktivere
Arbeitsbedingungen und schnellere Anerkennungsverfahren ausländischer
Abschlüsse.
Zudem bleiben wesentliche Fragen in diesem Zusammenhang offen: Die Einführung
eines Pflichtdienstes wäre mit immensen Kosten verbunden. Schon jetzt reichen
die finanziellen Mittel nicht aus, um den Freiwilligendienstleistenden ein
Ticket für den ÖPNV oder ein ausreichendes Taschengeld zu finanzieren. Zudem
müssen junge Leute gut betreut werden, wenn sie beispielsweise in sozialen
Berufen arbeiten. Auch dafür fehlt in vielen Bereichen schon jetzt das Personal.
Ein Pflichtdienst wäre einer jungen Generation gegenüber jedoch nicht fair.
Als Bündnis90/Die Grünen Bremen sind wir überzeugt, dass unser Land und unsere
Gesellschaft von einer Stärkung der freiwilligen Dienste und einer reformierten,
inklusiven Bundeswehr und einer umfassenden Debatte über gesellschaftliche
Solidarität profitieren werden. Wir öffnen damit einen Raum für strukturelle
Lösungen, die unserer Gesellschaft dienen, zu einer wertschätzenden
Ehrenamtskultur beitragen und gleichzeitig die Verteidigungsfähigkeit sichern,
ohne auf veraltete und ungerechte Modelle wie die Wehrpflicht zurückzugreifen.
Unterstützer*innen
- Désirée Schwindenhammer (KV Bremen-Mitte)
- Sebastian Illigens (KV Bremen-Mitte)
- Vittoria Helzer (KV Bremen Links der Weser (LdW)
- Hendrik Pröhl (KV Bremen Links der Weser (LdW)
- Laura Hollerweger (LV Grüne Jugend Bremen)
- Christian Neuhäuser (KV Bremerhaven)
Änderungsanträge
- Globalalternative: Ä2 (Henrike Müller, Eingereicht)
Kommentare
Maike-Sophie Mittelstädt: