Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Grüne Bremen 26.09.2025 |
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Tagesordnungspunkt: | 5.3 Weitere Anträge "Grüne Perspektive auf die Lage im Nahen Osten" |
Antragsteller*in: | Grüne Jugend Bremen (dort beschlossen am: 10.09.2025) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 12.09.2025, 09:48 |
D-NO1: Zivilgesellschaft in Israel und Palästina schützen - Gerechten Frieden schaffen
Antragstext
Am 7. Oktober 2023 verübte die Terrororganisation Hamas ein brutales Massaker an
der israelischen Zivilbevölkerung. Die Hamas beschießt Israel mit Tausenden
Raketen und dringt mit bis zu 3.000 bewaffneten Kämpfern in das Land ein. Ziel
sind vor allem Menschen aus der Zivilbevölkerung. Mehr als 200 Menschen werden
von der Hamas entführt, mehr als 1.200 Menschen getötet. Es handelt sich damit
um den schlimmsten Massenmord gegen Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Wir
verurteilen diesen antisemitischen, terroristischen Akt ohne Einschränkungen.
Als Reaktion auf den Angriff der Hamas führt die Israel seither Krieg im Gaza-
Streifen. Dabei wurden bereits zehntausende Palästinenser*innen getötet,
verletzt oder vertrieben. Die humanitäre Lage in Gaza, die schon vor der
israelischen Offensive sehr schlecht war, kann heute als humanitäre Katastrophe
bezeichnet werden. Regelmäßig wird das sehr kleine und dicht besiedelte Gebiet
des Gaza-Streifens, in dem Menschen keinen Schutz finden können, massiv
bombardiert, wobei immer wieder auch wichtige Infrastruktur zum Ziel von
Angriffen wird. Millionen Menschen befinden sich ohne Schutz auf der Flucht. Es
fehlt an Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Medikamenten, in diesem Frühjahr
blockierte die israelische Regierung fast drei Monate sämtliche Hilfslieferungen
nach Gaza, auch die aktuell genehmigten Hilfsgüter reichen nicht ansatzweise
aus. Eine Kriegsführung, die die Zivilbevölkerung mit derartigem Leid überzieht,
ist nicht zu rechtfertigen. Anfang Mai verkündete die israelische Regierung, den
Gazastreifen dauerhaft besetzten und die palästinensische Bevölkerung vertreiben
zu wollen. Mittlerweile hat die israelische Armee eine Offensive eingeleitet, um
diese Ziele durchzusetzen. Diese Beispiele zeigen das völkerrechtswidrige
Vorgehen Israels. Auch internationale Gerichte befassen sich mit dem Vorgehen
der israelischen Regierung in Gaza. Der Internationale Gerichtshof ermittelt
derzeit wegen des Verdachts auf einen Völkermord gegen Israel. Im Januar 2024
verpflichtete er Israel, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, wie etwa die
Gewährleistung humanitärer Hilfe und die Verfolgung öffentlicher Aufstachlungen,
um einen Genozid in Gaza zu verhindern, was zeigt, dass der Genozid-Vorwurf
zumindest vorläufig als plausibel eingeordnet wird. Der Internationale
Strafgerichtshof hat im Herbst 2024 Haftbefehle gegen Premierminister Netanyahu
und seinen ehemaligen Verteidigungsminister erlassen, da diese für
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich seien.
Auch viele NGOs, etwa die israelische Organisation B´Tselem, sehen im
israelischen Vorgehen einen Völkermord.
Wir bekennen uns klar zum Existenzrecht Israels und erkennen an, dass Israel ein
Recht darauf hat seine Bevölkerung zu schützen und zu verteidigen. Klar ist aber
auch, dass Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht immer handlungsleitend
sein müssen und nicht eingeschränkt werden dürfen. Israel verstößt in Gaza immer
wieder gegen diese Grundsätze.
Die Hamas verstößt regelmäßig gegen das Völkerrecht, mit Massakern an
israelischen Menschen, und auch, wenn sie Zivilist*innen im Gaza-Streifen als
Schutzschilde missbraucht und deren Tod einkalkuliert. Das ist unbestritten und
klar zu verurteilen. Es bedeutet jedoch nicht, dass Israel ebenfalls
Völkerrechtsverstöße begehen darf. Von der demokratisch gewählten israelischen
Regierung erwarten wir, dass sie sich im Gegensatz zu Terrororganisationen an
internationales Recht hält und eine verantwortungsvolle Rolle bei der Erreichung
von Frieden in der Region einnimmt.
Eine Waffenruhe ist ein erster wichtiger Schritt, reicht aber nicht aus. Es
braucht langfristige, gerechte Lösungen. Ein gerechter Frieden setzt voraus,
dass die Lebensrealitäten der palästinensischen Bevölkerung endlich anerkannt
und verbessert werden: Die Besatzung, die fortschreitende Enteignung durch den
Siedlungsbau, die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die alltägliche
militärische Kontrolle sowie der Entzug grundlegender Rechte. Denn Unterdrückung
und Brüche des Völkerrechts sind keine neue Erscheinung nach dem 7. Oktober
2023, sondern Ausdruck eines strukturellen Unrechts, das seit Jahrzehnten
andauert. Ebenso muss die Sicherheit der israelischen Bevölkerung gewährleistet
sein – jedoch nicht durch militärische Unterdrückung, sondern durch eine
politische Lösung, die Sicherheit auf Grundlage von Gerechtigkeit schafft. Der
Krieg in Gaza, der offiziell der Zerschlagung der Hamas dienen soll, hat dieses
Ziel bislang nicht erreicht und stattdessen zehntausenden Zivilistinnen das
Leben gekostet und die Sicherheitslage für alle – Israelis wie
Palästinenser*innen – massiv verschlechtert.
Ein zentraler Bestandteil eines gerechten Friedens ist der Einbezug der
Zivilgesellschaften beider Seiten. Solidarität und gemeinsame Visionen für ein
Leben in Würde und Freiheit können politische Prozesse ergänzen und langfristig
stabilisieren. Friedliche Verhandlungen müssen unter internationaler Vermittlung
geführt werden und dürfen nicht von geopolitischen Interessen dominiert werden.
Ein gerechter Frieden kann nur durch eine umfassende Lösung erreicht werden, die
auf dem Völkerrecht, der Anerkennung gleicher Rechte für alle Menschen in der
Region und dem Ende der Besatzung basiert. Dazu gehört die diplomatische
Anerkennung eines souveränen palästinensischen Staates. Viele Staaten erkennen
Palästina bereits an. Es ist wichtig, dass auch Deutschland diesen Schritt geht.
Die Worte und Handlungen der internationalen Gemeinschaft und insbesondere von
verbündeten Staaten haben einen Einfluss auf das Vorgehen der israelischen
Regierung. Entsprechend sehen wir die deutsche Bundesregierung in der Pflicht,
all ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, um einen sofortigen und dauerhaften
Waffenstillstand herbeizuführen. Dieser muss die Freilassung der Geiseln,
ausreichend humanitäre Hilfe und den Rückzug der Israelischen Armee aus Gaza
beinhalten.
Dazu gehört es, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aller
Beteiligten klar zu benennen und zu verurteilen. Neben klaren Worten braucht es
zudem Taten. Wir fordern die deutsche Bundesregierung zu einem Bekenntnis zur
Umsetzung der Entscheidungen internationaler Gerichte auf. Dies ist
Voraussetzung für eine glaubhafte Positionierung auf Seiten der Menschenrechte.
Außerdem braucht es personenbezogene Sanktionen gegen alle israelischen
Regierungsmitglieder und Militärs, die die Blockade von Hilfslieferungen
und/oder Vertreibungspläne der Zivilbevölkerung unterstützen (z.B. gegen die
Minister Ben-Gvir und Smotrich), menschenfeindliche Politik und Rhetorik
gegenüber der palästinensischen Bevölkerung dürfen nicht geduldet werden. Wir
befürworten den Vorschlag der EU-Kommission, das EU-Assoziierungsabkommen mit
Israel für den wirtschaftlichen Bereich auszusetzen. Die deutsche
Bundesregierung sollte sich diesem Vorschlag anschließen.
Außerdem ist es für uns essenziell, dass Menschenrechtsverletzungen nicht durch
deutsche Waffen unterstützt und verschärft werden dürfen. Seit Israel Krieg in
Gaza führt, ist die Lage immer weiter eskaliert und trotz internationaler
Appelle wurden immer wieder Völkerrecht und Menschenrechte missachtet.
Spätestens in den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass immer mehr Waffen für
Israel nicht zu mehr Sicherheit führen, sondern zu einer weiteren Eskalation. Es
ist höchste Zeit tatsächliche Lösungsansätze für den Konflikt anstelle von
Waffenlieferungen in den Fokus zu stellen. Daher begrüßen wir die Entscheidung
der Bundesregierung, vorerst keine Rüstungsgüter mehr an Israel zu liefern, die
in Gaza eingesetzt werden können. Dieser Schritt war lange überfällig. Als Grüne
Partei müssen wir uns kritisch mit dem Vorgehen Grüner
Verantwortungsträger*innen in der letzten Bundesregierung auseinandersetzten.
Seit Oktober 2023 hat Deutschland über 300 Millionen Euro an humanitärer Hilfe
für die Menschen in Gaza bereitgestellt. Diese finanzielle Unterstützung ist
sehr wichtig und muss dauerhaft und planbar aufrechterhalten bleiben.
Deutschland muss die Humanitäre Hilfe in Gaza nicht nur finanziell unterstützen,
sondern auch politischen Druck ausüben und logistisch unterstützen.
Aktivismus, der aus der Zivilgesellschaft vor Ort kommt, ist ein elementarer
Bestandteil für einen Friedensprozess in der Region und eine langfristige Lösung
des Konflikts. Es wäre falsch, die israelische und palästinensische Bevölkerung
mit ihren Regierungen gleichzusetzen und Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu
ignorieren. Die Hamas handelt nicht nach den Bedürfnissen der palästinensischen
Bevölkerung und genießt wenig Vertrauen in dieser. So protestierten etwa im März
diesen Jahres Hunderte Palästinenser*innen in Gaza gegen den Krieg und gegen die
Hamas, trotz drohender Gewalt und Repression. In Israel gibt es zahlreiche
Proteste aus der Zivilgesellschaft gegen die rechte Regierung und auch gegen
deren völkerrechtswidrige Handlungen. Mehrere Tausend Israelis gehen regelmäßig
auf die Straße, um gegen das Regierungshandeln zu demonstrieren, insbesondere
weil der andauernde Krieg in Gaza den israelischen Geiseln und ihren Angehörigen
nicht hilft.
Verschiedenen israelische sowie palästinensische Aktivist*innen und
Gruppierungen setzten sich seit Jahren und Jahrzehnten für Frieden in der
Region, für die Wahrung der Menschenrechte, für Meinungspluralismus, für Rechte
und politische Teilhabe verschiedener Gruppen ein. Wir sprechen allen Personen,
die diese sehr wichtige Arbeit auch unter den aktuellen Bedingungen leisten,
unsere Solidarität aus und unterstützen Aktivismus für Frieden in Israel und
Palästina nach unseren Möglichkeiten. Dazu gehört auch, dass Deutschland
derartige Organisationen durch Finanzierung unterstützt. Gerade in der aktuellen
Situation ist es fatal, wenn zivilgesellschaftliche Organisationen dadurch
geschwächt werden, dass ihnen aus intransparenten Gründen Fördermittel
gestrichen werden.
Der Krieg in Gaza hat Folgen auch über die Region hinaus. Auch die
gesellschaftliche Stimmung in Deutschland wurde im letzten Jahr durch die
Ereignisse beeinflusst. Die Anzahl antisemitischer Straftaten in Deutschland hat
bereits in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Seit dem Anschlag vom
07.Oktober ist zudem ein besonderer Anstieg zu verzeichnen. Außerdem steigt
nicht nur die Quantität der antisemitischen Straftaten, sondern auch schwere
Angriffe, wie etwa Körperverletzungen, nehmen zu. Auch im Rahmen Pro-
Palästinensischer Demonstrationen kommt es zu Vorfällen, bei denen
antisemitische Parolen verwendet werden oder die Verbrechen der Hamas gefeiert
werden. Hinzu kommt der generelle Rechtsruck in Deutschland, der ebenfalls zu
einer Zunahme an Antisemitismus führt. Auf der anderen Seite hat sich seit dem
7.Oktober die negative Stimmung gegen migrantisierte Menschen aus arabischen
Ländern in Deutschland verstärkt. Der Konflikt und Pro-Palästinensische
Demonstrationen in Deutschland werden von einigen Politiker*innen zum Anlass
genommen, mehr Abschiebungen und Restriktionen in der Asylpolitik zu fordern und
Meinungsäußerungen zu delegitimieren. Es ist inakzeptabel alle Teilnehmer*innen
von pro-palästinensischen Demonstrationen und Aktivist*innen in diesem
Themenbereich pauschal als antisemitisch zu verurteilen, und erst recht alle
muslimischen Menschen. Derartigen Narrativen müssen wir uns klar
entgegenstellen. Zudem braucht es eine höhere Aufmerksamkeit für und kritische
Einordnung von für unverhältnismäßige Einschränkungen und Polizeigewalt im
Rahmen von Demonstrationen. Wir stellen wir uns klar gegen Antisemitismus und
gegen (anti-muslimischen) Rassismus. Unser Anspruch in Deutschland muss es,
gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte, sein, dass sich alle Jüdinnen und
Juden in Deutschland sicher fühlen können. Unser Anspruch muss es aber auch
sein, dass alle Menschen in Deutschland Gebrauch von ihrem Recht auf freie
Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit machen können, ohne pauschale
Verurteilungen und Repressionen fürchten zu müssen. Es ist nicht akzeptabel,
wenn Antisemitismus mit Rassismus bekämpft wird. Stattdessen müssen wir in
Deutschland wieder zu einem offenen und ausgewogenen Diskurs kommen, in dem klar
zwischen der israelischen Regierung und der jüdischen Bevölkerung unterschieden
wird, sowie auch zwischen der Hamas und der palästinensischen Bevölkerung.
Konkret helfen können dabei Bildungs- und Aufklärungsarbeit zu Antisemitismus,
(Anti-)Zionismus und anti-muslimischen Rassismus, Sicherheitsprogramme für
jüdisches Leben, Rassismus-Prävention, und die Überarbeitung einschlägiger
Resolutionen. Es braucht eine klare Trennlinie zwischen strafbarer Hetze und
legitimer, völkerrechtsgestützter Kritik. Die IHRA-Definition von Antisemitismus
ist eine nicht-rechtsverbindliche Arbeitsdefinition, die nicht als juristische
Grundlage für Sanktionen geeignet ist.
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