Antrag: | Gemeinschaft lässt sich nicht verordnen - Strukturelle Probleme angehen statt über Dienstpflichten diskutieren |
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Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 18.09.2025) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | Heute, 08:06 |
Ä1 zu A2: Gemeinschaft lässt sich nicht verordnen - Strukturelle Probleme angehen statt über Dienstpflichten diskutieren
Titel
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Stärkung von Freiwilligendiensten und Bundeswehr: Für eine moderne, inklusive und attraktive Sicherheitsarchitektur ohne Dienstpflicht
Antragstext
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verändert unsere Welt grundlegend. Durch die Wiederwahl Donald Trumps sind die USA zudem kein verlässlicher transatlantischer Partner mehr. Auch die NATO-Staaten – darunter die deutsche Bundeswehr – rüsten wieder auf. Deshalb soll die Anzahl der Zeit- und Berufssoldatinnen sowie der Reservistinnen deutlich erhöht werden. In diesem Zusammenhang werden auch die Forderungen nach einer allgemeinen Dienstpflicht lauter.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist das Ende August von der schwarz-roten Bundesregierung auf den Weg gebrachte Wehrdienstgesetz. Bereits ab 2027 soll bei allen 18-Jährigen das Interesse an derBundeswehr abgefragt werden und ab 2028 soll die Musterung für alle Männer des Jahrgangs 2008 wieder verpflichtend eingeführt werden. Mit dem neuen Paragrafen 2a im Wehrpflichtgesetz schafft sich die Bundesregierung die Möglichkeit, die Wehrpflicht kurzfristig wieder einzuführen.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen Bremen sind jedoch überzeugt, dass die Wiedereinführung der Wehrpflicht keine Lösung ist. Vielmehr muss die Bundeswehr gestärkt und reformiert sowie die Verteidigungsfähigkeit EU-weit besser koordiniert und abgestimmt werden. Gleichzeitig müssen unsere Freiwilligendienste und das zivilgesellschaftliche Engagement gestärkt werden, um sie zukunftsfähig und inklusiv zu gestalten. Bevor eine Debatte über eine Dienstpflicht für junge Menschen in Deutschland stattfinden kann, müssen die strukturellen Probleme der gegenwärtigen Rahmenbedingungen angegangen werden, um die Dienste in allen Bereichen für die Zielgruppe attraktiver zu gestalten.
Ausbau und Förderung von Freiwilligendiensten
Um Freiwilligendienste gut aufzustellen und so zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen, ist eine existenzsichernde Vergütung für alle Freiwilligendienste notwendig. Nur so ist sichergestellt, dass diese Dienste tatsächlich allen Menschen zugänglich sind. Engagement im Rahmen eines Freiwilligendienstes darf kein Privileg für Jugendliche aus finanziell gut situierten Haushalten sein, sondern muss allen Menschen die Chance bieten, sich zu beteiligen, sich weiterzubilden und sich zu engagieren. Darüber hinaus soll die Förderung für eigenverantwortliches zivilgesellschaftliches Engagement erhalten und ausgebaut werden.
Ein Pflichtdienst würde zunächst einmal nichts an den Rahmenbedingungen ändern. Dass Tätigkeiten in sozialen Berufen und im ehrenamtlichen Katastrophenschutz mit wenig gesellschaftlicher Anerkennung, wenig Geld und hoher Arbeitsbelastung verbunden sind, würde Menschen auch weiterhin abschrecken. Gesellschaftlicher Zusammenhalt muss gemeinsam erlernt und gelebt werden. Ob eine Pflicht hier den entscheidenden Unterschied machen würde, ist fraglich. Die durch einen Pflichtdienst erwarteten positiven Effekte können auch durch gut ausgestattete Freiwilligendienste erreicht werden – was auch heute schon sichtbar ist. Der Höchstsatz des Bundesfreiwilligendienstes von 644 € reicht allerdings kaum zum Leben. Es braucht daher eine deutliche Steigerung der Anerkennungskultur für diese besondere Form des Engagements – monetär sowie durch zusätzliche Anreize wie ein kostenloses Deutschlandticket bzw. ein Ticket für den ÖPNV. Der Bundesfreiwilligendienst darf nicht dazu genutzt werden, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in sozialen und kulturellen Berufen zu ersetzen und so Lohnkosten einzusparen. Eine Dienstpflicht droht dieses Problem angesichts des Fachkräftemangels in diesen Arbeitsfeldern massiv auszuweiten.
Freiwilligendienste scheitern häufig an enttäuschten Erwartungen (zum Teil auf beiden Seiten), fehlenden finanziellen Mitteln und unzureichender Betreuung. Zudem haben die herausfordernden Haushaltslagen der vergangenen Jahre den Verbänden oft die Planungssicherheit für die Einsatzstellen erschwert. Hier braucht es eine stabilere Finanzierung. Gerade in von Krisen geprägten Zeiten ist ein gesellschaftliches Zusammenkommen wichtig, ebenso wie eine verstärkte Wertschätzung für ehrenamtliche Arbeit, die allen Menschen offensteht.
Stärkung der Verteidigungsfähigkeit durch Reform in der Bundeswehr
Grundsätzlich ist es richtig, dass der Bund die finanziellen Grundlagen dafür geschaffen hat, dass Deutschland verteidigungsfähig wird und ein zuverlässiger Bündnispartner sein kann. Für uns Grüne ist dabei klar: Für Investitionen in Rüstungsvorhaben braucht es Transparenz und eine gestärkte parlamentarische Kontrolle. Hier sehen wir nach wie vor gravierende Missstände etwa im Rahmen des Beschaffungssystems. Um diese Verteidigungsfähigkeit zu erreichen und für die aktuellen außenpolitischen Entwicklungen gewappnet zu sein, braucht die Bundeswehr Nachwuchs und gut ausgebildete Fachkräfte.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss sich die Bundeswehr zu einem attraktiveren Arbeitsumfeld entwickeln. Die strukturellen Probleme mit Diskriminierung, Sexismus, rechten Tendenzen und Netzwerken unter Soldat*innen in der Bundeswehr müssen daher zwingend angegangen werden. Nur so kann die Bundeswehr für die Gesellschaft geöffnet werden und jungen Menschen Perspektiven bieten.
Im Vergleich zu anderen Freiwilligendiensten liegt der monatliche Wehrsold für freiwillig Wehrdienstleistende mit 1.837 € und kostenlosem Bahnfahren deutlich höher. Das neue Wehrdienstgesetz sieht eine weitere Erhöhung dieser Besoldung vor. Eine angemessene Vergütung ist zwar wichtig, hat aber bisher nur bedingt zu einem umfangreichen Anstieg an Wehrdienstleistenden geführt. Erforderlich ist hierfür eine Veränderung der Tätigkeiten und der Arbeitskultur, damit die Bundeswehr für Menschen, die einen Dienst leisten wollen, ein sicherer und inklusiver Arbeitsort ist.
Dienstpflichten lösen keine aktuellen Probleme
Wir lehnen Dienstpflichten in der aktuell angedachten Form sowie das neue Wehrdienstgesetz, das die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, ab. Durch eine solche Pflicht für junge Menschen (und in Bezug auf den Wehrdienst aktuell explizit für junge Männer) wird die gemeinschaftliche Verantwortung auf diejenigen abgewälzt, die bereits unter den anhaltenden Versäumnissen der letzten Jahrzehnte leiden. Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten werden dadurch bestärkt, anstatt dringend benötigte Kapazitäten freizusetzen und notwendiges Engagement sowie die Entwicklung von Fachkräften zu unterstützen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.
Die Diskussion um die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahres ist oft mit überzogenen Erwartungen verbunden, was die zu erwartenden Veränderungen betrifft. So können junge Menschen im Rahmen eines Freiwilligendienstes mit Sicherheit eine Bereicherung in der Pflege- und Betreuungsarbeit sein. Um den Fachkräftemangel zu bewältigen, sollten jedoch andere Strategien verfolgt werden: eine bessere Bezahlung, attraktivere Arbeitsbedingungen und schnellere Anerkennungsverfahren ausländischer Abschlüsse.
Zudem bleiben wesentliche Fragen in diesem Zusammenhang offen: Die Einführung eines Pflichtdienstes wäre mit immensen Kosten verbunden. Schon jetzt reichen die finanziellen Mittel nicht aus, um den Freiwilligendienstleistenden ein Ticket für den ÖPNV oder ein ausreichendes Taschengeld zu finanzieren. Zudem müssen junge Leute gut betreut werden, wenn sie beispielsweise in sozialen Berufen arbeiten. Auch dafür fehlt in vielen Bereichen schon jetzt das Personal. Ein Pflichtdienst ohne angemessene Vergütung und Betreuung wäre einer jungen Generation gegenüber jedoch kaum fair.
Als Bündnis90/Die Grünen Bremen sind wir überzeugt, dass unser Land und unsere Gesellschaft von einer Stärkung der freiwilligen Dienste und einer reformierten, inklusiven Bundeswehr profitieren werden. Wir öffnen damit einen Raum für strukturelle Lösungen, die unserer Gesellschaft dienen, zu einer wertschätzenden Ehrenamtskultur beitragen und gleichzeitig die Verteidigungsfähigkeit sichern, ohne auf veraltete und ungerechte Modelle wie die Wehrpflicht zurückzugreifen.
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